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  • Glück, Tränen und heiße Duschen

    Nachdem wir am vergangenen Samstag unser verloren gegangenes Zuhause wieder einfangen konnten, saßen wir erst einmal fest. Am Sonntag besuchten wir die Polizei und die Polizei uns – sonst passierte nichts, denn gearbeitet wurde nicht. Am Montag organisierte man uns einen Monteur, der das Wohnmobil wieder „gangbar“ machte. Doch unsere deutschen Köpfe weigerten sich, mit dieser sehr italienischen Lösung aus Kabelbindern und Isolierband in die weite Welt hinauszufahren. Wir baten daher unsere schwäbisch-italienische Bekanntschaft um Hilfe – jemanden, der einer Werkstatt am Telefon unser Anliegen verständlich und mit dem nötigen Nachdruck erklären konnte.

    Da sie und der Polizist, der uns am Samstagabend in der Wache von Torremaggiore empfangen hatte, liiert sind, hatten wir ein ziemlich großes Ass im Ärmel. Sie kannten den Inhaber jener Werkstatt, in der die Polizeiautos regelmäßig landeten und für uns statteten sie der Werkstatt kurzerhand einen Besuch ab. Zuckerbrot, Peitsche und vermutlich eine große Portion weiblich-italienisches Temperament und die Sache war geklärt.

    Am Dienstagvormittag wurden wir abgeholt und im Wohnmobil sitzend nach San Severo in die Werkstatt verschleppt. Die Ersatzteile wurden bestellt und bezahlt, und die Wartezeit auf fünf Tage angesetzt. Wir verbrachten mehrere Tage vor dem Werkstatttor und verließen das Wohnmobil nur getrennt voneinander.

    Wir suchten die verlorene Normalität in kleinen Dingen: beim Gassigehen zwischen Müllbergen und streunenden Hunden, in der Wäscherei, in den Supermärkten, beim Arbeiten. Dazu kamen Anrufe bei Versicherungen und Brainstorming über Fragen wie „Wo bekommen wir neue, gültige Kennzeichen her?“. Unsere vierköpfige und zwölfbeinige Selbsthilfegruppe traf sich mehrmals täglich zur Therapiesitzung.

    Immer wieder machten wir uns klar, wie viel Glück wir trotzdem hatten. Wir erzählten uns, was alles noch schlimmer hätte kommen können, wie dankbar wir für die vielen hilfsbereiten Menschen waren und wie schön es war, unser „Eigenheim“ wieder zu haben. Doch das Gefühl der Lähmung und Trauer blieb. Erst langsam wurde uns klar, was wir vermissten, was uns lähmte und warum wir manchmal müde und traurig in Gedanken zurückblieben.

    Wir reisen seit über zehn Jahren zusammen, jeder von uns sogar noch länger. Immer waren wir achtsam: Wir nahmen Schlüssel, Zweitschlüssel und Karten mit, ließen nie Wertgegenstände offen liegen. Noch vor der Abreise aus Deutschland bauten wir einen GPS-Tracker ein, richteten ein Geheimfach für Dokumente und Laptops ein und sicherten die Fahrräder mit einem besonders starken Schloss. Doch das war’s dann auch. Ohne Bedenken standen wir zum Klettern und Wandern an verlassenen wie belebten Orten, in den hintersten Winkeln verschiedener Länder, in heruntergekommenen Gegenden, auf dreckigen Parkplätzen in Städten, Dörfern, Wäldern und Feldern – zu jeder Tageszeit. Wir standen immer und überall, und niemals hatten wir Angst. Genau das ist es, was sie uns genommen haben. Und das ist etwas, das man nicht einfach irgendwo wiederfinden oder kaufen kann.

    Wenn wir wieder so reisen wollen, wie wir es bisher gelebt und geliebt haben, dann müssen wir daran arbeiten – an unseren Köpfen, an unserem Vertrauen, an unserem Glauben an das Gute da draußen.

    Der Anfang war bereits gemacht: all die Menschen, die uns trotz Sprachbarriere oder großer Entfernung mit Geduld unterstützt haben. Egal ob Familie und Freunde zuhause, Fremde auf der Straße, die Polizei in Torremaggiore, die schwäbelnde Italienerin oder der Mechaniker, der – als die Teile am Freitagmittag endlich eintrafen – seine dreistündige Mittagspause für uns opferte, damit wir weiterkonnten. Für manche war es „gesellschaftliche Pflicht“, für andere einfach der Job. Ja, aber niemand konnte Hingabe, Mühe, Freundlichkeit oder Geduld erzwingen oder bezahlen. Sie haben uns diese Hilfe freiwillig geschenkt.

    Wir hoffen, dass wir die Hilfe dieser oder solcher Menschen nicht allzu schnell wieder benötigen. Dennoch ist es tröstlich zu wissen, dass es sie an allen Ecken gibt – und nicht nur diese andere Sorte von Menschen.

    Für uns geht die Reise nun endlich weiter. In Bari warten wir noch auf unsere neuen Kennzeichen (bei den alten hatte man ja fürsorglich die letzte Ziffer entfernt) und ein paar Dinge, die wir ersetzen müssen, erledigen ein bisschen Organisatorisches – und genießen in einer öffentlichen Park-Sanitäranlage ganz ungeniert die ersten langen, heißen Duschen seit unserem Start in Deutschland.

  • Catch me if you can

    Wir standen also irgendwo im Nirgendwo und unser Zuhause war weg. Wie alles, was unten vier Dinger zum Fortbewegen dran hat – seien es vier Pfoten oder vier Räder – hatte auch unser Zuhause vor der Abreise aus Deutschland einen GPS-Tracker verpasst bekommen. Also raus die Handys und das entflohene Zuhause orten. 

    60 Kilometer entfernt. Der Lidl-Parkplatz in Torremaggiore. Unerreichbar auf die Schnelle.

    Erste Idee: 112. Die werden uns schon helfen. „Hallo, haben Sie einen Notfall?“ Nein, wir rufen nur zum Spaß an und wollen ein bisschen plaudern… „Ja, uns wurde das Wohnmobil geklaut.“ „Da können wir leider nicht helfen. Gehen Sie bitte in die nächstgelegene Stadt und erstatten dort Anzeige.“ „Wir wissen, wo es ist! Jemand muss schnell reagieren und es sicherstellen, bevor die Täter weiterfahren!“ „Das macht die Polizei dann vor Ort. Gehen Sie in die nächstgelegene Stadt und erstatten Sie dort Anzeige.“ Danke für nichts.

    Zweite Idee: Telefonnummer der örtlichen Polizei wählen. Tut. Tut. Tuuuuuuut.

    Dritte Idee: Polizei in Torremaggiore anrufen. Tut. Tut. Tuuuuuuut.

    Vierte Idee: Taxi. Bus. Schreien. Weinen. Autos anhalten. Busse anhalten. Im Kreis rennen.

    In der Ferne stehen zwei Autos und drei Menschen. Wir rennen hin, texten sie voll – per Übersetzungs-App, in gebrochenem Italienisch, Englisch, Deutsch, mit Händen und Füßen. Sie verstehen, sie reagieren, sie telefonieren. Bombardieren ihren Gesprächspartner in schwallartigem Italienisch. Wir stehen daneben – verzweifelt, hilflos, verstehen kaum ein Wort.

    Sie erklären uns, dass die Polizei zum Lidl-Parkplatz fährt und sie uns nun zur örtlichen Polizeistation bringen würden, wo wir eine Anzeige machen müssten. Hunde in den Kofferraum, wir auf den Rücksitz, Vater und Sohn vorne. Zehn Minuten später stehen wir in Mattinata vor dem Revier. Das Handy des Vaters klingelt. Immer wieder sagt er: „Sì, ho capito“ – ich habe verstanden. Mehr verstehen wir nicht.

    Er beendet das Telefonat. Wir sitzen erstarrt da: kalte Hände, bleiche Gesichter.

    Der Sohn erklärt, die Polizei habe das Wohnmobil sichergestellt und an einen sicheren Ort gebracht. Man brauche Fotos unserer Dokumente. Wir müssten nach Manfredonia aufs Revier und dort Anzeige erstatten, dann weiter nach Torremaggiore, um dort Aussagen zu machen. Papierkram. 

    Wir rasen los. Sie telefonieren weiter. Wir brauchen ein Taxi ab Manfredonia. Sie haben Kontakte.

    Ihr Kontakt lehnt uns ab – wegen der Hunde, wegen seines neuen Mercedes. Wir müssten den Bus nehmen.

    Am Revier in Manfredonia angekommen, redet der Vater. Wir nicken, versuchen zu ergänzen, zu erklären, zu kooperieren, zeigen Schlüssel, Papiere, verzweifelte Gesichter. Wir verstehen nur Bruchstücke, versuchen Körpersprache zu lesen. Die Zeit rennt. Es wird nicht reichen – Torremaggiore ist zu weit weg.

    Wir unterschreiben. Der Vater führt uns hinaus. Wir ringen die Hände, fragen verzweifelt, wo die Bushaltestelle ist, ob sie uns dorthin bringen würden. Der Sohn übersetzt: Die Zeit reicht nicht. Man müsse uns jetzt selbst nach Torremaggiore fahren – sie würden dies tun.

    Verlegen ergänzt er, ob wir vielleicht das Benzin zahlen könnten. Wir würden ihnen das ganze Auto bezahlen, wenn wir nur unser Zuhause wiederbekämen.

    Er gibt Gas. Wir halten uns an den Händen fest. Kalte Hände und Sorge beim einen, warme Hände und erste Erleichterung beim anderen. Zuhause, wir kommen dich holen.

    Eine Frau ruft an. Wir gehen ran. Sie spricht Deutsch. Kein echtes Deutsch – nur dieses Schwäbisch. Aber sie versteht uns, und wir verstehen sie, ohne Hände, Füße und Apps. Sie sagt, sie wäre da, wenn wir ankommen, sie würde uns helfen.

    Als wir ankommen, ist sie da.

    Vater und Sohn dürfen endlich heim. Wir geben ihnen alles Geld, das wir noch dabeihaben, schütteln Hände, versuchen herzlich zu lächeln und unsere Dankbarkeit mit allen italienischen Wörtern auszudrücken, die wir finden können. Sie gehen. Wir setzen uns. Die nächste Runde beginnt.

    Wir können Deutsch reden, endlich erzählen, was genau war und geschah, und unser Gegenüber versteht alles – denn wir haben jemanden, der alles übersetzt. Wir bekommen Gehör, bekommen Fotos gezeigt, bekommen Wasser für uns und die Hunde, bekommen Erklärungen, beruhigende Worte, Trost, weitere Hilfsangebote. Wir bekommen, bekommen und bekommen – und wir nehmen alles.

    Irgendwann ist es Zeit, nach Hause zu fahren. Wir werden auf zwei Polizeiautos verteilt, die Hunde dürfen ausnahmsweise mitfahren. Blaulicht an. Los.

    Zehn Minuten später biegen wir in einen Hof ein, sehen ein braunes Wohnmobil. Zeit der Wahrheit: Wie viel Zuhause gibt es noch?

    All die Einzelheiten würden sich erst am nächsten Tag zeigen. Doch so viel war uns schon nach zwei Stunden Aufräumen klar: Es gab noch ein Zuhause. Mit weniger elektronischen Geräten, ohne Hundesachen und Toilettenartikel, mit zerstörten Schlössern und beschädigter Verkabelung und Verkleidung im Cockpit, aber getarnt als unser Zuhause. 

    Wie viel Zuhause, ob getarnt oder Wirklichkeit – den Hunde war es egal. Sie schliefen ein. 

  • Wir brauchen endlich Urlaub

    Es ist so weit. Wir vier sind in der Ferne alleine zurückgeblieben. Unsere kleine Urlaubsgesellschaft hat sich aufgelöst und die verrückten Franken Chrissy und Dominik sind mit ihren fahrbaren Untersätzen wieder gen Heimat aufgebrochen. Drei Wochen liegen hinter uns, die chaotischer und zugleich lustiger nicht hätten sein können. Einiges haben wir schon durchblicken lassen, anders jedoch bis jetzt für uns behalten und wieder anderes lassen wir einfach in den Dolomiten, im Sarcatal oder in Südtirol – manchmal ist es besser, dass Dinge dort bleiben, wo sie passiert sind.

    Gestartet sind wir vier mit dem Wohnmobil in die falsche Richtung, weil wir ein Problem mit der frisch verbauten Feder-Fahrweg-Kombi hatten. Anschließend haben wir uns mit Chrissy und ihrem geliehenen Wohnmobil in Österreich getroffen, sind weiter ins Höhlensteintal gefahren und haben dort kletternd den gemeinsamen Urlaub begonnen. Unerwartet kam Dominik kurz darauf mit seinem VW-Bus dazu, hat die Gesellschaft gesprengt und frischen Wind in die Unternehmungen gebracht. Der Spaß konnte beginnen.

    Kaum angekommen, unternahmen die Herren einen verwirrenden Versuch: Sie wollten einen nicht-platten Reifen wechseln. Dazu fehlte es erst an Werkzeug, dann ließ sich das Rad nicht lockern (es blieb in diesem Punkt meinungsfest) und nachdem sich diverse deutsche, ungarische und italienische Männer tatkräftig beteiligt hatten, merkte man, dass der Reifen gar nicht platt war. Klingt komisch? Nun, lassen wir das lieber unkommentiert stehen.

    Es war kaum Zeit vergangen, da folgte Tobias nächster Einsatz. Während wir entspannt aus dem Fenster schauen und die Wolkenschäfchen zählen konnten, kramte der Herr Kfz-Elektroniker sein Werkzeug hervor, telefonierte mit den zuständigen Leuten und fixte schließlich die Ladeelektronik des Leihwohnmobils. Was passiert war? Genau genommen, war nichts passiert, was exakt auch das Problem war. Statt zu laden, hat das Wohnmobil nichts getan – Solar auf dem Dach hilft halt auch nur, wenn die Verkabelung richtig sitzt. Immer gut, einen Tobias dabei zu haben, der aus einer lachenden Sonne eine ladende Sonne machen kann.

    Es folgten ein paar Tage mit ein paar körperlichen und seelischen Blessuren: Chrissy schürfte sich quasi täglich die Arme und Knie irgendwo auf, Tobias nahm eine steinige Treppe auf dem Po statt mit den Füßen, Katja zitterte und jammerte sich eine fragwürdig gesicherte Felswand empor und Happy hatte wunde Pfötchen – nur Dominik und Cima schienen laufen und klettern zu können, ohne dabei ein Risiko für sich selbst darzustellen.

    Es kam der Tag des Durchfall-Hundis und des übereilten Aufbruchs ins Sarcatal, um eine Sonne zu finden, die gar nicht gesucht werden musste. Es sei nämlich erwähnt, dass es zwar zu diesem Zeitpunkt auf dem Falzarego-Pass immer wieder geregnet hatte, die darauffolgenden Tage jedoch nur so vor herrlichstem Sonnenschein strotzten. Der Weg ist das Ziel oder so ähnlich war das doch.

    Wir waren also im Sarcatal. Beim Klettern hatte bekanntlich irgendwer, dessen Name nicht genannt werden darf, sein oder vielmehr ihr Handy fallen lassen und eine Handy-Rettungsaktion ausgelöst. Diese Person und alle weiteren weiblichen Wesen der Gruppe – Beinchanzahl-unabhängig – litten täglich unter der sehr energisch brennenden Sonne mit Schwindel und Schwäche und… gut, führen wir das nicht weiter aus. Es war schlicht zu viel Sonne. 

    Notgedrungen wollten wir wieder in kühlere und dennoch sonnige Gefilde aufbrechen. Bevor uns das gelang,  holten wir Wohnmobilisten uns noch Strafzettel ab, da wir nicht (an)erkannt hatten, dass das eigene Fahrzeug nicht wie das Auto auf dem Parken-nur-Erlaubt-für-Schild aussah. Außerdem reichten uns die körperlichen Wehwehchen noch nicht und die oben unbenamte Person schlug sich einmal kräftig beim Wandern das Schienbein an einer Leitplanke auf, damit alle (ein)sehen konnten, wie gefährlich die Teilnahme am Straßenverkehr war – von wegen gefährliches Klettern.

    Danach lief alles ganz wunderbar.

    Zack. Da war es dunkel. Unser Wohnmobil wollte dem Leihwohnmobil in nichts nachstehen und knipste uns das Licht aus. Hilfe war nicht weit. Dr. Tobias griff wieder in sein Werkzeugkästchen (denn für mehr hat der Platz im Wohnmobil nicht gereicht) und zauberte los. Kaputte Platine überbrückt, ein Käbelchen hier und eines da und zack, die Sonne ging wieder auf und wir reisten weiter.

    Um am Ende noch einmal ganz deutlich zu machen, warum wir nach unserem Urlaub endlich mal Urlaub brauchen, haben wir drei heimatlosen Damen entschieden, dass es Zeit für Krankheit ist: Die Hunde-Damen klagen nun über juckende, rote, wunde, entzündete Stellen an Bauch und Beinchen und Frauchen hat nun die Keule mit dem grippalen Infekt ausgepackt. Was für ein Abschluss. Noch Fragen?